Rotrinja 2084 - statt Mutti nur ein Roboter?

Titelbild: "Rotrinja 2084"


Für Leser ab 10



Können Roboter Menschen ersetzen?



Leseprobe


Das ist ein trauriger Montagmorgen: Mutti liegt nach einem schweren Unfall im Krankenhaus, Vati hat schon in aller Früh zur Baustelle fahren müssen – der neunjährige Robert muss allein zu Hause bleiben. Doch ganz allein ist er nicht, seit ihm Vati etwas mitgebracht hat; etwas, das unbedingt ein Geheimnis bleiben muss ...
 
      Die Küchenuhr zeigte auf viertel acht Uhr morgens, als Robert zu frühstücken begann. Die Semmel war nicht mehr knusprig, sie stammte vom Samstag. Robert strich eine dicke Schicht Marmelade drauf.
      „Wenigstens schmeckt das Ganze süß“, tröstete er sich, nachdem er das erste Stück abgebissen hatte. Er musste an Mutti denken, die sonst um diese Zeit die Betten richtete. Schlief sie jetzt, im Krankenhaus, noch immer? Robert wusste es nicht.
      Eine schlief jedenfalls noch immer – auch wenn sie in Wirklichkeit nicht richtig „schlafen“ konnte: Rotrinja.
      Nachdem Robert das Frühstücksgeschirr abgespült und zum Trocknen auf die Abwasch gelegt hatte, holte er die Fernbedienung vom Nachtkästchen. Er eilte damit ins Wohnzimmer und weckte Rotrinja, indem er auf die gelbe Taste drückte.
      „Guten Morgen, Robert“, sagte die Roboterpuppe – wie mit Muttis Stimme!
      Robert zuckte zusammen. Erst jetzt fiel ihm ein, wie lange er sich am Vortag mit Vati wegen Rotrinjas Stimme geplagt hatte.
      „Guten Morgen“, grüßte er ebenfalls. Zögernd fügte er hinzu: „Rotrinja ... was wollen wir zwei jetzt anstellen?“
      Rotrinja starrte ihm in die Augen. Sie hatte ihn wohl wieder einmal nicht verstanden.
      „Dieser Blick!“, dachte er verunsichert. „So schaut Mutti mich nie an. Nicht einmal wenn sie grantig ist.“
      Rotrinja schien Roberts Frage nicht begriffen zu haben und erwiderte nach ein paar Sekunden: „Was meinst du mit ,anstellen‘? Wo müssen wir uns anstellen?“
      „Wie bitte?“ Robert zog verdutzt die Brauen hoch. Auf einmal platzte er lachend heraus: „Anstellen müssen wir uns nirgends! Ich habe nur gefragt, was wir anstellen könnten – tun! Verstehst du? Möchtest du zum Beispiel ... Fußball spielen?“
      Rotrinja antwortete: „Tut mir leid. Das kann ich nicht.“
      „Warum nicht?“, entgegnete Robert.
      Rotrinja erklärte ihm: „Ich bin aus der Herstellungsgruppe 2084. Ich bin nicht für Sport vorgesehen.“
      „Ah! Drum hast du gestern so einen Bauchplattner bei der Tür herein gemacht!“ Robert musste lachen. „Sportlich bist du also nicht – obwohl du so schlank aussiehst wie eine Tänzerin. Kannst du tanzen?“
      Wieder sagte Rotrinja: „Tut mir leid. Das kann ich nicht.“
      „Haha, das kann sogar meine Mama, obwohl sie nicht so schön dünn ist wie du!“, rief Robert. „Aber es macht ja nichts, dass du nicht tanzen und Fußball spielen kannst. Zum Fußballspielen müssten wir in den Garten hinausgehen, aber das dürfen wir nicht. Also – was könnten wir sonst tun?“
      Robert blickte nachdenklich zur Zimmerlampe hinauf, sodass Rotrinja fragte, ob sie das Licht einschalten solle.
      „Wozu? Es ist taghell“, erwiderte Robert. Doch dann grinste er und fragte: „Kannst du das Licht einschalten?“
      „Ja.“ Rotrinja stand auf, ging zur Tür und drückte dort auf den Lichtschalter an der Wand.
      „Bravo!“, rief Robert, und er fing zu klatschen an. Dann sagte er höflich: „Und jetzt, liebe Rotrinja, jetzt kommt etwas Spannendes – etwas Großartiges – etwas, was die Welt noch nie erlebt hat: Schalt das Licht wieder aus!“
      Rotrinja gehorchte sogleich.
      „Bravo!“ Robert klatschte wieder. „Danke, Rotrinja! Jetzt darfst du auf deinen Platz gehen und dich hinsetzen.“
      Rotrinja tat es, ohne ein Wort zu erwidern. Ihre Schritte wirkten sicherer als am Vortag – geradeso, als ob sie in der Nacht heimlich das Gehen geübt hätte. Robert wunderte sich.
      „Hast du in der Nacht gut geschlafen?“, fragte er, nachdem sie sich gesetzt hatte.
      „Ja. Ich ruhe gut“, lautete die Antwort.
      Robert staunte und dachte: „Dann hat sie also nicht heimlich geübt. Oder lügt sie?“
      „Rotrinja ...“, fragte er zögernd, „... kannst du lügen?“
      Ein paar Sekunden starrte sie ihn wieder einmal an, dann sagte sie: „Tut mir leid. Das kann ich nicht.“
      „Ah! Das ist mir sowieso lieber“, murmelte Robert. Dann fragte er – und erwartete ebenfalls eine ablehnende Antwort: „Kannst du mit mir das Rechtschreiben üben? Für die Schule?“
      „Ich bin aus der Herstellungsgruppe 2084“, erklärte Rotrinja. „Ich bin nicht für Schule und Unterricht vorgesehen.“
      „Hurra, dann lassen wir das Üben weg!“, jubelte Robert. „Aber sag: Kannst du nicht einmal lesen?“
      „Ich kann lesen.“ Rotrinja nickte.
      „Findest du beim Lesen Fehler, wenn ich etwas falsch geschrieben habe?“, erkundigte sich Robert.
      Oje! Rotrinja musste wieder einmal lange nachdenken. Noch bevor sie etwas antwortete, rannte Robert in sein Zimmer. Kurz darauf kehrte er mit einem Zettel zurück, hielt ihn Rotrinja hin und sagte: „Lies vor, was ich da draufgeschrieben habe! Und dann sag mir, ob ich einen Rechtschreibfehler gemacht habe!“
      Rotrinja blickte auf den Zettel und fing zu lesen an: „Wir sind Freunde.“
      „Gut gelesen!“, lobte Robert sie. „Findest du einen Fehler?“
      Rotrinja überlegte nicht lange und sagte: „Nein.“
      „Das war wohl zu leicht“, murmelte Robert. Er dachte kurz nach, dann schrieb er mit dem Bleistift, den er mitgebracht hatte, auf den Zettel:

Wir sind zwei Kammerraden.

      Das Wort „Kameraden“ hatte er absichtlich falsch geschrieben. Er hielt Rotrinja den Zettel hin, ließ sie vorlesen und fragte wieder, ob sie einen Fehler finden könne. Rotrinja starrte auf das Blatt Papier, ohne zu antworten.
      „Stimmt das Wort ,Kameraden‘?“, fragte Robert, um es ihr leichter zu machen.
      Endlich entgegnete sie: „Ich erkenne die Wörter ,Kammer‘ und ‚Rad‘. Aber davor steht das Wort ,zwei‘. Folglich geht es um mehrere. Es muss also heißen: ,Wir sind zwei Kammern-Räder.‘“
      „Kammern-Räder – ha! Mich zerreißt’s vor Lachen!“ Robert konnte sich nicht zurückhalten. Er ließ Zettel und Bleistift fallen, patschte sich mit den Händen auf die Oberschenkel und bog sich vor Lachen.
      Rotrinja saß still da. Sie zog nur die Mundwinkel ein bisschen hoch, als wolle sie schmunzeln.
      „Warum lachst du nicht auch?“, fragte Robert, noch immer lachend.
      „Ich habe soeben gelacht“, erwiderte Rotrinja ruhig.
      „,Gelacht‘ nennst du das?“ Robert lachte noch mehr. Plötzlich zuckte er zusammen.
      Die Haustürglocke schrillte!
      „Es kommt wer“, zischte Robert. Er huschte zum Wohnzimmertisch, auf dem er die Fernbedienung abgelegt hatte, und drückte auf die gelbe Taste. Im selben Augenblick schrillte die Glocke abermals.


Wer läutet an der Haustür? – Ganz gleich, wer es ist – Robert hat versprechen müssen, Rotrinja vor allen anderen Menschen zu verbergen. Vati hat sie nämlich noch immer nicht richtig „programmiert“. Wird er das überhaupt endlich zusammenbringen? Robert will nicht, dass er seine Rotrinja dauernd verstecken muss. Er hat sich schon gefragt, ob es möglich wäre, dass Rotrinja sich selber „programmiert“ – und zu einem „Kampfroboter“ werden könnte ...


 

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