Für Leser ab 12
„Wir bauen uns einfach ein eigenes Haus ...“
So leicht stellt sich das der zehnjährige
Martin vor – allzu leicht?
Jedenfalls weiß er genau: Er will endlich weg
aus der schäbigen Baracke, die für seine Eltern und seine Geschwister nach
einem Brandunglück zu einer Notunterkunft geworden ist!
Martin kam an
diesem Tag nicht mehr dazu, mit seiner Schwester ungestört über seine Liste zu
sprechen. Er musste es auf den nächsten Tag verschieben. Aber noch in derselben
Nacht geschah etwas so Schreckliches, dass Martin am folgenden Morgen glaubte,
es müsse ausreichen, um die Eltern endlich zum Bau eines eigenen Hauses zu
bewegen.
Nach zehn Uhr abends
war in der Baracke gewöhnlich alles ruhig, außer dass es ab und zu irgendwo in
den Holzwänden oder im Dachgebälk knackte. Doch diesmal rumpelte bei den
Cellinis etwas, sodass Linda wach wurde. Zuerst wusste sie nicht recht, aus
welcher Richtung der Lärm gekommen war, dann hörte sie aus dem Nebenraum
schwere Tritte. Irgendwer ging langsam über
die knarrenden Dielen. Kurz darauf quietschte eine Tür, danach war alles
still.
Hatte jemand die
Wohnung verlassen? Warum so spät? Die Leuchtzeiger des Weckers wiesen schon auf
drei viertel elf Uhr!
Linda wälzte sich auf
die Seite und konnte nicht mehr einschlafen. Ihre Stirn war heiß vom Fieber, in
ihren Ohren schien es leise zu pfeifen, und in ihrem Kopf summte und dröhnte
und drückte etwas, als wollte er ihr zerspringen. Nach einer Weile drehte sie
sich wieder auf die andere Seite, sodass sie das Fenster sehen konnte.
Plötzlich stutzte sie.
Was war das? Der
blasse Lichtschein, der schon vorhin von draußen hereingefallen war, hatte sich
ins Gelbliche verfärbt und zitterte seltsam ...
Linda zog die Hände
unter der Bettdecke hervor, rieb sich die Augen und starrte zum Fenster.
Was war da für ein
Geflacker?
Mühsam richtete sich
Linda ein wenig auf. Sie tastete mit der linken Hand in der Dunkelheit umher
und weckte Martin.
„Was ist denn?“,
brummelte er.
„Martin, schau! Das
Fenster!“, wisperte Linda. „Was ist da für ein Licht?“
Martin schob
schläfrig die Bettdecke weg und richtete sich ebenfalls auf. Ein paar Atemzüge
lang saß er steif da, ohne ein Wort zu sagen. Plötzlich sprang er aus dem Bett
und huschte zum Fenster. Kaum hatte er hinausgeblickt, rief er entsetzt: „Da
brennt’s! Mensch, da brennt’s!“
Mit einem Satz war er
bei seinen Eltern. Er rüttelte sie an den Schultern und schrie: „Vati! Mutti!
Es brennt! Es brennt! Die Baracke brennt!“
Wenige Augenblicke
später rannte der Vater im Schlafanzug mit einem Eimer Wasser zur Rückwand der
Baracke. Die Mutter hastete von Wohnungstür zu Wohnungstür und weckte die
Nachbarn. Bald drangen grelle Stimmen von draußen herein, und nachdem Martin
das Fenster aufgerissen hatte, konnte man hören, wie das Feuer knisterte und
prasselte.
„Es ist beim
Holzstapel der Bergmanns!“, rief Martin seiner Schwester zu. Sie hatte sich –
obwohl ein eisiger Luftschwall durchs Fenster hereinfuhr – im Bett aufgesetzt
und starrte zu ihrem Bruder.
„Die Rückwand der
Baracke brennt noch nicht“, sagte er aufgeregt. „Ein Glück, dass es am
Nachmittag geregnet hat!“
Immer wieder
leuchtete Martins Gesicht im flackernden Schein des Feuers gespenstisch auf.
Linda zog die Bettdecke bis zu den Schultern hoch und bibberte vor Angst und
Kälte.
Einige Nachbarn
rückten mit Schaufeln an und machten dem nächtlichen Spuk ein Ende, indem sie
den letzten nassen Schnee auf den brennenden Holzstapel warfen. Dann standen
sie um den rauchenden Haufen herum und redeten erregt miteinander.
„Die streiten schon wieder!“,
stellte Martin fest. „Frau Cellini schimpft mit den Lajeks und den Schullners.
Ich kann sie nicht genau verstehen.“
Auch Linda konnte
nichts Genaues verstehen. Aber am Klang der Stimmen merkte sie gleich, dass es
da draußen wüst zuging.
„Es muss irgendetwas
mit Klaus und Max zu tun haben“, meinte Martin. „Mich wundert nur, dass sich
Herr Cellini nirgends blicken lässt! Der fehlt doch sonst nie, wenn’s wo etwas
zum Streiten gibt!“
Linda erwiderte
nichts. Sie saß noch immer zitternd und leichenblass auf ihrem Bett. Plötzlich
fiel ihr ein, dass bei den Cellinis kurz vor dem Ausbruch des Feuers jemand die
Wohnung verlassen hatte; und noch etwas fiel ihr ein: die grässliche
Auseinandersetzung am Nachmittag, bei der Herr Cellini von „anzünden“ und „Bruchbude“
gesprochen hatte. Wollte er etwa ...?
In diesem Augenblick
betrat die Mutter das Zimmer.
„Martin! Bist du
verrückt?! Mach sofort das Fenster zu!“, schrie sie, dann wandte sie sich an
Linda: „Und du schau gefälligst, dass
du unter die Bettdecke kommst! Marsch! Was fällt euch beiden ein?!“
Martin knallte die
Fensterflügel zu. Einer Ohrfeige von seiner Mutter entging er nur durch einen
Hechtsprung ins Bett. Es quietschte dabei so laut, dass der kleine Michi
erwachte. Er hatte alles verschlafen.
„Ihr wollt euch wohl
den Tod holen!“, schimpfte die Mutter, während sie das Fenster richtig schloss
und die Vorhänge zuzog. Danach eilte sie zu Michi, der sich neugierig in seinem
Bett aufgerichtet hatte. Sie drückte ihn aufs Kissen zurück und mahnte: „Bleib
schön brav unter der Decke! Sonst wirst du
auch noch krank!“
Gleich darauf kehrte
der Vater in die Wohnung zurück. Er stellte den leeren Eimer neben den Ofen und
fluchte vor sich hin: „Diese Mistbuben!“
„Wer?“, wollte Martin
wissen. Der Vater schaute ihn verstimmt an und brummte: „Klaus Lajek und der
kleine Max Schullner! Frau Cellini hat die zwei am Vormittag beim Zündeln
erwischt. Wahrscheinlich haben sie’s am Abend noch einmal heimlich getan und
die Glut nicht ordentlich gelöscht.“
„Aber dann wäre das
Feuer bestimmt viel früher ausgebrochen“, wandte die Mutter ein.
„Papperlapapp!“,
erwiderte der Vater. „Von allein fängt ein Holzstapel nicht zu brennen an –
schon gar nicht, wenn’s draußen so feucht ist wie heut’ Nachmittag. Die Fratzen
haben gezündelt! Eigenhändig durchprügeln würd’ ich sie am liebsten!“
Fratzen ... eigenhändig durchprügeln – so heftig sprach
der Vater selten. Das nächtliche Feuer hatte ihm einen Riesenschreck eingejagt,
das merkte man gleich. Auch die
Mutter war ziemlich aufgeregt und begann über Klaus und Max zu schimpfen. Auf
einmal richtete sich Linda in ihrem Bett auf und sagte: „Du, Mutti ... Klaus
und Max sind unschuldig – ich glaube, Herr Cellini
hat’s getan ...“
„Was?!“, platzte der
Vater heraus, und die Mutter herrschte Linda mit gedämpfter Stimme an: „Mach,
dass du unter deine Bettdecke kommst! Und red nicht so einen Unsinn über unsere
Nachbarn! Wenn die dich jetzt gehört
haben ...!“
„Wie
kommst du überhaupt auf diesen verrückten Verdacht?“, fragte der Vater
leise. Linda legte sich gehorsam zurück und erzählte, was sich am Nachmittag
und kurz vor dem Brand bei den Cellinis ereignet hatte. Die Eltern machten
bestürzte Gesichter, Martin biss sich vor Spannung auf die Lippen. Zuletzt
fragte er hastig: „Müssen wir Herrn Cellini bei der Polizei anzeigen?“
„Sei still, du bist
wohl nicht bei Trost!“, zischte ihn die Mutter an. „Womöglich hat sich Linda
das alles nur im Fieber eingebildet.“
„Nein!“, beteuerte
Linda schnell.
„Schon gut,
vielleicht hast du recht“, beschwichtigte der Vater sie. „Aber wir können
nichts beweisen. Die Cellinis würden uns Verleumdung vorwerfen.“
„Verleumdung – was
ist denn das?“, wollte Martin wissen. Der Vater klärte ihn auf: „Die Cellinis
würden behaupten, wir hätten absichtlich eine Lüge über sie verbreitet, um
ihnen zu schaden.“
„Martin, ich warne
dich – und dich auch, Linda“, sagte
die Mutter streng. „Erzählt niemandem,
Herr Cellini hätte die Baracke angezündet! Erstens wissen wir gar nicht, ob das
stimmt; zweitens würden wir Scherereien kriegen. Die Nachbarn sind sowieso
nicht gut auf uns zu sprechen. – Und jetzt legt euch gefälligst hin und
schlaft!“
Das war leichter
gesagt, als getan ...
Hat Linda sich wirklich nur im Fieber etwas eingebildet? Für Martin ist jedenfalls klar: Neben einem Brandstifter als Nachbar will er nicht mehr wohnen! Aber wie soll es nun weitergehen?
Leserkommentar zu diesem Buch
Zur Fortsetzung des Buches: "Steinpichel - jetzt erst recht!"
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Titel: "Außenseiter"
von Toni Traschitzker
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